All Israel
Gastkolumne

Und plötzlich ist alles anders

Eine Familie erlebt den Kriegsbeginn bei Dimona

 
Vom Campingplatz aus hörten und sahen die Urlauber die Rauchsäulen von den Raketen (Foto: Stephanie Frank)

Stephanie, Benjamin und ihre beiden Töchter, Elinor und Amalia, waren am 7. Oktober auf einem Campingplatz in Mamschit, südlich von Dimona. Es sollte ein unbeschwertes Wochenende mit Freunden werden. Doch von einer Minute auf die andere wurde ihre Welt auf den Kopf gestellt.

Bum. Bum. Immer wieder höre ich das seltsame Geräusch. Im Halbschlaf schaue ich auf mein Handy. Es ist kurz nach halb sechs. Wer um alles in der Welt macht auf einem Campingplatz um diese Uhrzeit so einen Lärm?

Ich versuche, das Geräusch zuzuordnen. Es kommt mir seltsam bekannt vor, aber ich komme einfach nicht darauf. Ich schaue zu meinen Kindern. Beide schlafen seelenruhig. Der Schlafplatz von meinem Mann ist leer. Ich erinnere mich, dass er mir am Vorabend gesagt hatte, dass er früh aufstehen will, um seine Stille Zeit zu machen, also in der Bibel zu lesen und zu beten.

Mit der Ruhe auf dem Campingplatz in Mamschit war es an diesem Morgen vorbei (Foto: Stephanie Frank)

Bis auf das sich immer wiederholende laute Geräusch bleibt es auf dem Campingplatz zunächst ruhig. Ich überlege, ob ich versuchen soll, einfach weiterzuschlafen, aber irgendetwas sagt mir, dass ich besser aufstehen und draußen nach dem Rechten sehen sollte.

Der erste Schock

Kaum aus dem Zelt sehe ich, wie immer mehr Menschen aus ihren Zelten kommen. In der Ferne steigt dunkler Rauch auf. Und jetzt höre ich es klar und deutlich: Eine Sirene in der nächstgelegenen Stadt Dimona.

Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde zähle ich eins und eins zusammen. Die lauten Geräusche sind Explosionen von Raketen aus dem Gazastreifen. Eigentlich sollte ich es besser wissen, trotzdem verfalle ich in eine Art instinktiven Panikmodus. Ich renne ins Zelt und packe beide Kinder. Ich hole sie aus dem Zelt und lege mich mit beiden neben dem Picknicktisch in den Sand.

Dieses Mal ist die Explosion deutlich lauter. Nach wenigen Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, stehen wir wieder auf. Die Kinder weinen. Kein Wunder, wenn man so grob aus dem Schlaf gerissen wird. Ich versuche mich zu beruhigen. Wenigstens den Kindern zuliebe.

Die Zelte abbrechen

Ohne viel Diskussion entscheiden wir, die Zelte abzubauen. Mitten in der Wüste ohne wirklichen Schutz zu bleiben, ist für keinen von uns eine Option. Wir beginnen, unsere Sachen zusammenzupacken und werden immer wieder von weiteren Sirenen unterbrochen.

Inzwischen habe ich mich wieder gefangen. Ich will nicht wahrhaben, dass unser Campingausflug so abrupt enden soll. In Israel sind wir Raketen gewöhnt. Das ist nichts Neues. Warum sollten wir uns also unsere Pläne von ein paar gelangweilten Terroristen durchkreuzen lassen?

Vollkommen im Verdrängungsmodus angekommen, schlage ich vor, ans Tote Meer zu fahren und dort eine kleine Wanderung zu machen. Ich werde überstimmt. Die meisten aus unserer Gruppe wollen lieber nach Hause fahren. Wir singen noch ein Lied mit den Kindern und beten, bevor alle zu ihren Autos gehen.

Eine riskante Heimfahrt

Wir entscheiden, dass wir eine Karawane bilden und gemeinsam zurück in Richtung Jerusalem fahren. Das einzige Problem ist, dass man sich nicht so recht einigen kann, welche Route sich am besten eignet. Entweder die längere Strecke, entlang am Toten Meer und damit auch durch das Westjordanland, oder die deutlich schnellere Strecke über die Schnellstraße Nummer 6, die jedoch auch näher entlang des Gazastreifens verläuft.

Wie bedrohlich die Situation ist, wird mir zum ersten Mal klar, als ich die ernsten Gesichter unserer Männer sehe. Die Diskussion geht hin und her.

Am Ende entscheiden wir uns für die schnellere Option. Unsere Heimfahrt abenteuerlich zu nennen, ist eine Untertreibung. Entlang der Route sehen wir eine Rauchsäule von Raketeneinschlägen nach der anderen. Auf der Fahrbahn selbst umfahren wir ein großes Loch.

Inzwischen ist auch mir klar, dass wir besser schnell nach Hause kommen. Ich lenke mich damit ab, meine Freunde und Familie über die Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten und Nachrichten zu lesen. Es gibt bereits mehrere Tote. Selbst ich als kriegsunerfahrene Deutsche verstehe langsam: Irgendetwas ist dieses Mal anders. Und ich sollte Recht behalten …

Plötzlich allein

Kaum zu Hause angekommen, überbringt mir mein Mann die nächste Hiobsbotschaft. Er hat bereits über die WhatsApp-Gruppe seiner Einheit erfahren, dass er eingezogen wird. Er muss jetzt für seinen Einsatz packen und sich direkt bei seinem Armeestützpunkt melden. Meine Welt bricht zusammen. Ich breche in Tränen aus und kann mich kaum noch beruhigen.

Wie soll ich das alles durchstehen – ohne meinen Mann? Ich kann es mir nicht vorstellen. Und trotzdem gehe ich mit ihm in unsere Wohnung und helfe ihm, alles zu packen, während unsere Kinder von den Vermietern und deren Kindern abgelenkt werden.

Vom Campingwochenende ging es für den Mann der Autorin direkt in den Militärdienst (Foto: Stephanie Frank)

Und dann ist es so weit. Viel zu schnell ist alles gepackt und mein Mann, inzwischen in voller Uniform, verabschiedet sich. Das Gefühl der Angst schnürt mir die Kehle zu und ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen.

Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich auf keinen Fall alleine in der Wohnung bleiben kann, zumal wir dort keinen Schutzraum haben. Hilfsbereit nehmen unsere Vermieter uns für die erste Nacht auf. Es ist unsere beste Option, da immer wieder Sirenen in unserer Gegend ertönen. Doch längerfristig ist es keine Lösung. Am nächsten Tag fahre ich zu Freunden.

Heimatgefühle

Früher, wenn mein Mann und ich uns über die theoretische Möglichkeit eines Krieges in Israel unterhielten und er mir erklärte, dass es für ihn selbstverständlich sei, seinem Land zu dienen, gab es für mich nur eine logische Schlussfolgerung: Sobald mein Mann in den Krieg zieht, gehe ich zurück nach Deutschland.

Doch plötzlich ist gar nichts mehr logisch. Anstatt zu hinterfragen, ob er wirklich dienen soll, bewundere ich ihn für seine Entschlossenheit, dieses Land zu verteidigen, für sein Gottvertrauen und seine Furchtlosigkeit.

Immer wieder werde ich von Familienangehörigen und Freunden gefragt, warum wir, oder zumindest die Kinder, nicht nach Deutschland kommen. Ich habe keine logische Antwort für meinen Entschluss. Es ist eher ein tiefes inneres Wissen, dass hier der Platz ist, den Gott für uns bestimmt hat. Ich kann es mir auf einmal nicht mehr vorstellen, in Deutschland zu sitzen und meinen Mann und meine Freunde hier zurückzulassen. Wenn ich bisher oft das Gefühl hatte, zwischen den Welten (Deutschland und Israel) zu leben und nirgends vollständig zu Hause zu sein, begreife ich jetzt, dass Gott diesen Konflikt bereits aufgelöst hat.

Ein herausforderndes Gespräch

Doch immer wieder höre ich die Stimme des Zweifels. Ist hierzubleiben wirklich die richtige Entscheidung? Ein entscheidender Einschnitt kommt, als ich wieder den Blick von mir selbst auf andere richten kann.

Als ich endlich die Kraft habe, meiner vierjährigen Tochter die Frage aller Fragen zu stellen, wie es ihr eigentlich mit der Situation geht, befinde ich mich mitten im schwersten Gespräch meines Lebens. Hatte ich in meiner Naivität angenommen, dass sie von allem, was in den vergangenen Tagen passiert ist, nicht viel mitbekommen hat, werde ich plötzlich mit der harten Realität konfrontiert.

Ihre Überzeugung, dass ihr „Abba“ von den „bösen Männern totgemacht wird“, führt uns in ein bittersüßes Gespräch über Gottes Allmacht, Seine Stärke und die Hoffnung, die wir in Ihm haben und die über dieses Leben hinausreicht. Nicht unbedingt die Art, wie man seinem Kind das Evangelium nahebringen möchte. Wir beten gemeinsam und ich weiß nicht, wer von uns beiden gestärkter aus diesem Gespräch hervorgeht.

Den Blick „nach oben“ richten

Es ist ein natürlicher Reflex, dass man in einer Zeit, die von Stress und Chaos geprägt ist, alles tun will, um die Illusion der Kontrolle zu wahren. Mein „Bewältigungsmechanismus“ sind die Nachrichten. Jede halbe Stunde lese ich nach, was die neuesten Entwicklungen sind. Bevor ich mich versehe, ertrinke ich bereits in einer Flut aus Artikeln, Berichten und Videos.

Bis ich feststelle, dass mein Blick ausschließlich auf den Sturm gerichtet ist. Ich denke an die Geschichte von Jesus, der auf dem See Genezareth geht. Und an Petrus. Ich bin kein bisschen besser. Anstatt auf Jesus zu blicken, gehe ich unter. Ich schließe das Nachrichtenfenster und nehme meine Bibel in die Hand. Psalmen sind in letzter Zeit wieder sehr populär. Und das nicht ohne Grund.

Hier finde ich, wie viele andere auch, Hoffnung und Frieden in dieser dunklen Zeit. Wir können Gott in jedem Tag unseres Lebens und in dem Leben anderer wirken sehen. Es gibt so viele ermutigende Zeugnisse und unendlich viele Gründe, dankbar zu sein.

Diese Momente der Freude und der Dankbarkeit sind unser täglicher Triumph. Schließlich ist dieser Krieg auch, oder vielleicht besser „vor allem“, ein spiritueller Kampf. Gut gegen Böse. Dunkelheit gegen Licht. Und mit Gott an unserer Seite werden wir als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen.

Unser neues „normal“

Zwischenzeitlich bin ich mit den Kindern in einer Wohnung in Jerusalem untergekommen, die uns großzügigerweise von einer amerikanischen Organisation zur Verfügung gestellt wurde. Hier haben wir einen Schutzraum und sind umgeben von Freunden aus der Gemeinde. Wir haben mittlerweile in einen neuen Rhythmus gefunden. Auch wenn er nicht perfekt ist, lerne ich, die Kontrolle an Gott abzugeben. Er weiß es besser als ich, und er segnet und gibt uns weit über das hinaus, was wir brauchen.

Auch mein Mann Benny, der im Westjordanland stationiert ist, durfte nach mehr als zwei Wochen für eine Nacht zu uns. Es waren knapp 24 Stunden voller Freude, Liebe und seliger Harmonie. Alle Gründe, die unter normalen Umständen eine potentielle Uneinigkeit auslösen, sind auf einmal unbedeutend und nicht der Rede wert.

Ein Krieg wirkt besser als jedes Eheseminar. Wir wissen nicht, wie lange unsere Situation so bleiben wird, ob sie sich bald verbessert oder gar verschlimmert. Aber wir lernen, im Heute zu leben und unser Morgen vertrauensvoll in Gottes Hände zu legen.

Gott ist unsere Hoffnung

Das Israel vor dem Krieg war gespalten von unterschiedlichen politischen Ansichten. Heute stehen wir Seite an Seite. Man reicht sich die Hand und arbeitet Schulter an Schulter. Politische Meinungen und sonstige Differenzen spielen keine Rolle mehr. Beziehungen werden tiefer und neue Freundschaften entstehen. Ehen werden geschlossen und Paare entscheiden, ihren Kinderwunsch nicht länger aufzuschieben. Wir sind gewiss, dass Gott auch in dieser Zeit der Not unsere Hoffnung und Rettung sein wird.

Der vermeintliche „Erfolg“ der Hamas ist nur temporär. Gott hat Israel nicht vergessen und diese Nation wird gestärkt aus dem Krieg hervorgehen. Natürlich wird der Krieg bei uns allen seine Spuren hinterlassen, doch der, der die zerbrochenen Herzen heilt und unsere Wunden verbindet, wird uns wieder aufrichten. Unser Gebet ist, dass wir ein lebendiges Zeugnis für unseren Gott sein können und viele in dieser Zeit, die von Dunkelheit geprägt ist, das Licht, den wahren Messias, und damit auch den wahren Frieden finden werden. Und dieses Gebet gilt für beide Seiten des Konflikts.

Dieser Artikel erschien ursprünglich hier und wird mit Genehmigung erneut veröffentlicht.

Stephanie Frank kam im Rahmen ihres Studiums der Molekularen Medizin nach Israel. 2016 lernte sie ihren heutigen Mann, Benjamin, in einer messianischen Gemeinde kennen. Seit 2018 ist Israel ihr fester Lebensmittelpunkt. Mit ihren beiden Kindern leben sie in der Nähe von Jerusalem.

Latest Stories